„Sie wirken doch immer so stark und souverän!“

Andacht zum 1. Sonntag nach Epiphanias
Ein Eiskratzer mit blauem Griff liegt auf einer vereisten Autoscheibe, auf der eine kleine Bahn freigeschoben wurde.
Jakob Kampermann
Bild: privat
Jakob Kampermann

Da fährt er an diesem Morgen wieder aus der Garage. Hinter ihm senkt sich das Garagentor wie zur Verbeugung.

Nebenan stehe ich im eisgrauen Morgen und kratze mit klammen Fingern das Eis von den Scheiben; sehe zu, wie er zu mir herüberlächelst, wie sein großer, schwarzer Wagen fast unhörbar beschleunigt. Dann ist er weg, verschwunden in seinen Tag. Und dieser Tag beginnt für ihn mit Sitzheizung und klarer Sicht.

Er hat es geschafft, er ist wer. Er trägt seine Hemden keine zwei Tage hintereinander; seine Schuhe glänzen und seine Frau lächelt, wenn sie ihn an der Tür verabschiedet. Drei bis vier Mal im Jahr fährt er mit seiner Familie in Urlaub – ich gieße ihm solange die Blumen, füttere das Meerschweinchen und lege seine Post auf die Anrichte neben das Telefon.

Ich werfe meinen Eiskratzer auf den Beifahrersitz, fahre schimpfend los, an einer Ampel dämmert mir die Stimme meiner Frau. Wir brauchen all das nicht, um glücklich zu sein, sagt sie, wir haben uns und die Kinder, wir wissen ja gar nicht, wie gut es uns geht. Wir können Gott nur für jeden Tag danken, an dem es uns so gut geht wie heute.

Sie hat Recht. Und sie hat mich beschämt. Wir können Gott nur dafür danken, wie gut es uns geht. Uns. – Und eben auch denen, die Gott über ihrem guten Leben vergessen haben, die ihn nicht brauchen.

Ich fahre an unserer Kirche vorbei. Das alte Gemäuer, das ich liebe, heute spricht es zu mir: von Menschen, die lange vor uns da waren und die lange nach uns noch hierher kommen werden. Wie wichtig wir kleinen Menschen uns doch nehmen, er sich und ich mich, dabei bleibt doch alles ein Kommen und Gehen. Heute schenkt mir die Kirche in ihren uralten Mauern Gedanken vom Loslassen und Festhalten. Wie gut, Gottes Hand zu sehen, gerade, wenn ich von Zeit zu Zeit das Loslassen lernen muss, loslassen den Neid, die nicht erfüllten Träume, all die Gespinste von Macht und Anerkennung. Wie gut, Gottes Hand zu sehen und mich an ihr festzuhalten.

Ich parke das Auto vor meiner Lieblingsbäckerei, um mir mit duftendem Kaffee die Laune aufzuhellen. Ich trete auf Eis, rutsche aus, schwanke und falle hin. Eine ältere Frau aus unserem Viertel hilft mir, aufzustehen. Gott sei Dank, nichts passiert, murmele ich und klopfe mir das Eis von der Kleidung. Die Dame sieht mich lächelnd an: Dass ich Ihnen einmal aufhelfen darf, hätte ich nicht gedacht, Herr Pastor. Sie wirken doch immer so stark und souverän!

Amen.

Jakob Kampermann
Bild: privat
Jakob Kampermann
Predigttext: Psalm 73
Lauter Güte ist Gott für Israel, für alle Menschen mit reinem Herzen.
Ich aber - fast wären meine Füße gestrauchelt,
beinahe wäre ich gefallen.
Denn ich habe mich über die Prahler ereifert,
als ich sah, dass es diesen Frevlern so gut ging.
Sie leiden ja keine Qualen,
ihr Leib ist gesund und wohlgenährt.
Sie kennen nicht die Mühsal der Sterblichen,
sind nicht geplagt wie andere Menschen.
Sie sehen kaum aus den Augen vor Fett,
ihr Herz läuft über von bösen Plänen.
Sie höhnen, und was sie sagen, ist schlecht;
sie sind falsch und reden von oben herab.
Sie sagen: Wie sollte Gott das merken?
Wie kann der Höchste das wissen?»
Wahrhaftig, so sind die Frevler:
Immer im Glück, häufen sie Reichtum auf Reichtum.
Also hielt ich umsonst mein Herz rein
und wusch meine Hände in Unschuld.
Und doch war ich alle Tage geplagt
und wurde jeden Morgen gezüchtigt.
Da sann ich nach, um das zu begreifen;
es war eine Qual für mich,
bis ich dann eintrat ins Heiligtum Gottes
und begriff, wie sie enden.
Ja, Du stellst sie auf schlüpfrigen Grund,
Du stürzt sie in Täuschung und Trug.
Mein Herz war verbittert,
mir bohrte der Schmerz in den Nieren;
Ich aber bleibe immer bei Dir,
Du hältst mich an meiner Rechten.
Was habe ich im Himmel außer Dir?
Neben Dir erfreut mich nichts auf der Erde.
Ich aber - Gott nahe zu sein ist mein Glück.
Ich setze auf Gott, den Herrn, mein Vertrauen.
Ich will all Deine Taten verkünden.
Jakob Kampermann