Ostern ist eine langsame Heilung

Andacht zum Osterfest 2024
Die Frauenkirche Dresden erhebt sich gegen den blau leuchtenden Himmel. Von unten leuchten die Kirche und umliegenden Häuser golden im Licht der Laternen.
Das Bild zeigt eine männlich lesbare Person ohne Bart, mit kurzen grauen Haaren, einer Brille mit dunkler Fassung, einem hellblauen Schal, weißem Hemd und dunklem Sakko. Die Person hält ein Mikrophon in ihrer rechten Hand und hält die linke Hand auf Brusthöhe.
Bild: Jens Schulze
Landesbischof Ralf Meister

Ich war vor einigen Tagen in Dresden. Der Platz vor der Frauenkirche ist für mich heute einer der schönsten öffentlichen Plätze in deutschen Städten. Dabei war ein riesiger Trümmerberg alles, was am Ende des Zweiten Weltkrieges von der Frauenkirche übrig war. Dennoch trugen viele Menschen den Wunsch in ihren Herzen, das Gotteshaus eines Tages wieder aufgebaut zu sehen. Es vergingen ganze 60 Jahre, ehe die Frauenkirche 2005 wieder in ihrer vollen barocken Schönheit die Tore für die Menschen öffnen konnte.

In der Frauenkirche und in all unseren Kirchen werden wir an Ostern wieder Gottesdienst feiern. „Christus ist auferstanden!“ So rufen wir es uns dann zu. Wunderbare Kirchenmusik nimmt diesen Ruf auf, legt uns Hoffnung und Zuversicht ans Herz und lässt uns innerlich aufstehen.

Wenn uns diese Zuversicht doch nur nicht immer wieder so schnell abhanden käme! Schnell werden wir wieder gefangen genommen von realem Alltagsgrau und den Schrecken, die uns umgeben. Wo soll da die Wandlung der Welt bleiben, die Ostern doch verspricht?

Die Geschichte der Frauenkirche ist für mich Osterbotschaft pur. Die Spuren der Vernichtung und der Schuld, die die Bombardierung mit sich brachte, wurden nicht ausgelöscht. Dunkle Steine im Wiederaufbau halten die Erinnerung an das Leid fest. Passion und Neuanfang kommen in diesem Kirchenbau zusammen und verweisen auf den langen Weg. Denn Neuanfänge kommen nicht von heute auf morgen. Erst nach vielen, vielen Jahren konnte etwas Neues entstehen auf den Trümmern von Schuld und Vernichtung.

So ist vielleicht auch unsere Erwartung an den Ostermorgen falsch. Ostern ist keine plötzliche, wundersame Verwandlung, sondern eine langsame Heilung. Die christliche Erzählung von der Osterhoffnung ist nicht von einem Tag auf den anderen entstanden, sondern sie hat sich in einem langen Erzählprozess entwickelt. Nachdem die Frauen das leere Grab gesehen hatten, brauchten selbst die engsten Freunde Jesu Zeit, um glauben zu können, was ihnen erzählt wurde. Die erste schriftliche Notiz zur Auferstehung findet sich vermutlich im 1. Brief an die Thessalonicher, der erst cirka 50 nach Christus geschrieben wurde. 60 Jahre hat es in Dresden gedauert, bis aus dem Ort der Passion mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche ein starkes Symbol für einen Neuanfang geschaffen wurde. Wenn wir uns das vergegenwärtigen, kann uns das geduldiger machen in unserer österlichen Erwartung auf Veränderung und Wandlung. Denn Heilung, Einsicht und Neuanfang brauchen Zeit.

Ein gesegnetes Osterfest wünscht Ihnen
Ralf Meister
Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers

Das Bild zeigt eine männlich lesbare Person ohne Bart, mit kurzen grauen Haaren, einer Brille mit dunkler Fassung, einem hellblauen Schal, weißem Hemd und dunklem Sakko. Die Person hält ein Mikrophon in ihrer rechten Hand und hält die linke Hand auf Brusthöhe.
Bild: Jens Schulze
Landesbischof Ralf Meister