„Judentum begreifen“ – hier ist Religion erfahrbar

Ruth de Vries ist die Tochter einer Holocaust-Überlebenden Erna de Vries. Gemeinsam mit Monika Stadje leitet die Jüdin in Osnabrück das Projekt „Judentum begreifen“.
Eine Gruppe von vier Personen steht vor einem Tisch, auf dem Objekte der jüdishcen Kultur liegen: Chanukka Leuchter, eine Tora Rolle, silberne Teller und Becher. Bei den Personen handelt es sich um drei Frauen und einen Mann, alle halten Gegenstände der jüdischen Kultur in den Händen. Sie befinden sich in einem Raum mit hellen Wänden. Im Hintergrund stehen Schränke mit Exponaten, die sich mit dem Judentum beschäftigen.

Frau de Vries, Ihr Projekt heißt „Judentum begreifen“ – wie ist das gemeint?

De Vries: Wir meinen „begreifen“ im doppelten Sinne. Wir möchten Schulen und gesellschaftliche Gruppen unterstützen, das Judentum als Religion kennenzulernen und zu verstehen. Bei unseren Besuchen bringen wir Gegenstände aus dem religiösen jüdischen Alltag mit: zum Beispiel Thorarollen, Schabbat- und Chanukkaleuchter. Diese dürfen die Schülerinnen und Schüler anfassen, daher „begreifen“ im doppelten Sinne.

Wen besuchen Sie und wo?

De Vries: Wir gehen in alle Schulformen: Grundschulen, Oberschulen, Gymnasium, berufsbildende Schulen und auch Förderschulen. Außerdem besuchen wir Seminare für Lehrerpersonen. Das inhaltliche und sprachliche Niveau passen wir natürlich den Gruppen an.

Wie läuft Ihr Besuch ab?

De Vries: Ohne die Geschichte ist das Judentum in Deutschland heute kaum zu erklären. Deshalb beginnen wir fast immer mit dem Nationalsozialismus und den besonderen Begebenheiten für jüdische Menschen in unserer Region. Ich erzähle in verkürzter Form die Geschichte meiner Mutter Erna de Vries, die zwei Konzentrationslager überlebte. Wir erinnern an den 9. November 1938 mit der Zerstörung der Synagogen. Dabei sprechen wir auch über die heutige Gemeinde in Osnabrück und unsere Sicherheitssituation.

Wie reagieren die Kinder und Jugendlichen?

De Vries: Sie sind total interessiert und finden es spannend, was wir erzählen. Die Thora als ältestes Gesetzbuch der monotheistischen Religionen steht im Vordergrund. Wir sprechen über den Schabbat und die dazugehörende feierliche Atmosphäre, die jüdischen Feiertage und die Essensgebote. Dazu haben wir auch kurze Filmsequenzen. Wir singen gemeinsam ein Lied und lassen sie koschere Lebensmittel probieren. Wir finden es sehr wichtig, die Zuhörerinnen und Zuhörer einzubeziehen und etwas über ihre Religion zu erfahren. Das heißt, wir stellen auch ihnen Fragen und arbeiten interaktiv. Das schafft schöne Zugänge, und sie öffnen sich.

Thematisieren Sie die aktuellen Geschehnisse in Gaza?

De Vries: Wir machen ihnen klar, dass es eine unterschiedliche Betroffenheit gibt und die gewaltsame Austragung von Konflikten hier im demokratischen Deutschland keinen Platz hat. Unser Wunsch ist, dass unsere Besuche eine positive Wirkung für ein friedliches Zusammenleben haben. Wir möchten zur Abwehr offener und latenter Formen von Antisemitismus in unserer Gesellschaft und zu Toleranz und Respekt beitragen.

Carolin George